"Stille Gärten - Beredte Steine"
Jüdische Friedhöfe im Rheinland

In einem im Jahre 1938 verfaßten Gedicht »Der Gute Ort zu Wien« finden sich die Zeilen: »Vergißt du immer den Befehl,/ Der dich umlastet, Israel?/ Du mußt den Ländern, die dich hassen,/ Als Stapfen deine Gräber lassen«. Das, was diese Verse aus der Feder Franz Werfels ausdrücken sollen, ist eingetroffen - in Aachen wie in Zons und nicht nur hier. In vielen einstigen Zentren jüdischen Lebens im Rheinland, die oftmals eine jahrhundertealte Geschichte und Tradition besaßen, zeugen nur noch Gräber von einer vertriebenen, gemordeten jüdischen Existenz - falls nicht die Grabsteine selbst gewaltsam angetastet wurden.

Die Düsseldorfer Fotografin Maren Heyne hat an mehr als 50 Orten, sowohl in mehreren Großstädten wie auch in ländlichen Gemeinden am Niederrhein und im Weinbaugebiet von Nahe und Mosel jüdische Friedhöfe auf dem Gebiet der ehemaligen Rheinprovinz fotografiert. Wichtig war ihr dabei, sowohldas charakteristische Erscheinungsbild als auch besondere Grabsteine, Detalls und die dazugebörenden Gebäude zu zeigen, etwas von der sichtbaren und unsichtbaren Wirklichkeit und Lebendigkeit jüdischer Friedhöfe zu präsentieren.

Nach eigenem Selbstverständnis wollte Maren Heyne mit ihren Fotos Charakteristika und Stimmung, lokale Besonderheiten und Allgemeingültiges jüdischer Friedhöfe vermitteln, zur Nachdenklichkeit anregen und zugleich an die zum Teil letzten sichtbaren Stätten jüdischer VerwurzeIung in Deutschland erinnern.

Sie wollte beispielsweise den reizvollen Unterschied zwischen städischen Friedhöfen mit meist altem Baumbestand und charakteristischen Alleen einerseits und ländlichen kleinen Einfriedungen am Dorfrand, oder - mitten im Wald als Teil des Waldes (wie in Langenlonsheim) - schließlich solche inmitten von Feldern gelegene, wie die z.B. in Form eines preußischen Morgens im niederrheinischen Hoerstgen aufzeigen. Die ältesten Steine stammen aus dem frühen 17. Jahrhundert, die jüngsten aus unserer Zeit. Sie folgen dem jeweiligen Zeitgeschmack mit barocken, klassizistischen, neugotischen Stilelementen bis hin zu den Zeugen zeitgenössischer Grabmalgestaltung eines Leopold Fleichhackers oder Benno Elkans.

An der Westseite der Friedhofskappelle des Neuen Friedhofs in Düsseldorf stehen sechs Grabsteine, die vom ältesten jüdischen Friedhofs Düsseldorfs stammen. Sie wurden 1884 bei Kanalarbeiten entdeckt. Ein Stein weist den Namen der am 3. Januar 1779 gestorbenen Großmutter Heinrich Heines, Sara van Geldern (geb. Bock) auf. Sie war die Schwiegertochter des Juspa van Geldern, Militärprovisor und Finanzagent des Kurfürsten Jan-Wellem, und Ehefrau des angesehenen Arztes Gottschalk van Geldern, der an der für Juden offenen alten Universität Duisburg Medizin studiert hatte.

Unübersehbarer Mittelpunkt der Heyneschen Fotographien sind die Steine Leopold Fleischhackers (1882-1946). Es dürfte wohl kaum einen deutsch-jüdischen Bildhauer gegeben haben, dessen Werke so zahlreich erhalten und an den ihnen zugedachten Orten zu finden sind, wie die des vor allem in Düsseldorf wirkenden Künstlers: Fast 200 Grabmale, aufgestellt zwischen 1908 und 1938 auf zwanzig jüdischen Friedhöfen des Rhein-Ruhr-Gebiets, zeugen von seiner Schaffenskraft ebenso wie von seiner Kreativität auf dem Gebiet der jüdischen, aber auch allgemeinen Sepulkralkultur. Die in 30 Jahren gemeißelten Grabmale zeigen einen Künstler im Stilwandel seiner Zeit: er beginnt im Jugendstil, präsentiert sich ais eleganter Eklektiker und bedient sich schließlich des Art-Decos, der »neuen Sachlichkeit« oder des Bauhaus-Stils.

Unter »Stimmung« will Maren Heyne die von den »guten Orten« ausstrahlende Würde und Ruhe verstanden wissen, die von den traditionell nicht überpflegten Friedhöfen ausgeht. Gerade an den Grabstätten des ältesten jüdischen Siedlungsgebiets in Deutschland wird wie nirgends sonst deutsch-jüdische Geschichte sichtbar. Alter und Schönheit heben jüdische von christlichen Friedhöfen ab. Doch darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, daß in vielen Gemeinden niemand mehr da ist, der Familiengräber aufsuchen könnte, um als Zeichen der Erinnerung einen Stein auf das Grab zu legen. Nach dem nationalsozialistischen Judenmord müssen jüdische Gräber vielerorts von den jeweiligen kommunalen Behörden gepflegt werden.

Die Fotos von Maren Heyne sind in einer Ausstellung vom 28. Mai bis 19. Juni 1994 im Stadtmuseum Düsseldorf gezeigt worden. Im Februar 1995 werden sie in Duisburg zu sehen sein. Zur Ausstellung ist der Bildband erschienen:

Maren Heyne: Stille Gärten - Beredte Steine. Jüdische Friedhöfe im Rheinland. Fotografien. Mit einer Einleitung von Ludger Heid, Verlag J.H. W. Dietz Nachf., Bonn 1994, 160 S., DM 48,-
Aus "Dialog" Mitteilungen für die Freunde und Förderer des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte e.V., Mai 1994